Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T7

Meine Gefühle lassen sich so beschreiben: Ich war Stolz auf die vollbrachte Leistung und bekam so richtig das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Da machte es auch nichts, dass es verdammt kalt war und der Rucksack wie Blei auf  meinem Rücken klebte. Allerdings wich dieses Gefühl immer mehr einer Art Neugier, wo mich dieses Arschloch von Fahrer hier in die Botanik geschickt hatte. Hatte ich mich so sehr getäuscht in diesem freundlichen dicken Herrn, der mir zu meinem ersten Lift verholfen hatte?

Und hat dieser Witzbold vielleicht gerade aus mir einen Globetrottel gemacht? Bis jetzt glaubte ich an meine Menschenkenntnis. Zweifel nagten an mir und mein Rücken schmerzte. Er  musste sich erst an die Riemen und die Beschaffenheit des Rucksacks gewöhnen. Die neuen Trekking Schuhe ließen mich schnell erahnen, an welchen Stellen ich die ersten Blasen bekommen werde. Verflixt, wie weit ist es denn noch? Nur ein paar Kilometer meinte der Brummi-Pilot. Was glaubt der denn? Ich wollte doch nicht die ganze Welt zu Fuß erobern.

Sechs bis sieben Kilometer weiter, die mir wie hundert vorkamen, fand ich schließlich ein verschlafendes Nest, dessen Straßenbeleuchtung funktionierte. Ich stellte mich unter eine Laterne und hatte Glück, dass dort ein Wartehäuschen für den Linienbus stand. So war ich wenigstens ein bisschen vor dem kalten Wind geschützt. Das um diese Uhrzeit kein Mensch weit und breit zu finden war, störte mich nicht, denn schließlich hatte ich meinen Walkman mit ausreichend Musik mitgenommen und hörte mir jetzt Cat Stevens an. Ein echtes Erlebnis. „There are million ways to go“ hieß es da im Songtext.  Mir hätte schon einer gereicht.

Amsterdam 11/12. September 1984

Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwie, Gott sei es gedankt, bin ich in Holland angekommen. Die erste Grenze, die ich zu überqueren hatte, war geschafft. Nach ein paar unfreundliche und argwöhnischen Blicken der Grenzbeamten und einer gründlichen Zollkontrolle durfte ich offiziell einreisen.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T6

Nun, zuerst einmal wollte ich mir beweisen, dass ich ein ganzer Kerl bin, der auch etwas aushält. Und dann sollten alle anderen staunen, wenn sie Postkarten von mir aus aller Herren Länder bekämen. Ein  Holländer  winkte gestenreich ab, er fährt nur  bis da und da, habe ich nicht genau verstanden. Aber dass dies nicht mein Lift werden würde, hatte ich begriffen.

Eigentlich ein komisches Volk diese Brummifahrer. Sie sitzen da in ihrem Dreizigtonner Diesel und wissen, ihnen gehört die Straße. Unverschämtheit oder doch nur die ganz normale Folge des erhöhten Standpunktes, oder besser gesagt: Sitzpunktes?

Mein allererster Lift endete weit nach Mitternacht irgendwo auf der Autobahn bei Oldenburg. In meiner Verzweiflung nahm ich den erstbesten LKW-Fahrer, der nicht Nein sagen konnte, und mich tatsächlich mitnehmen wollte. Da machte s dann auch nichts, dass er nur einen Teil des Weges  meiner Route  fuhr. Ich tastete mich langsam vor und fing an zu reden. Die Themenauswahl fiel mir trotz vorgerückter Stunde nicht schwer, da ich vorgab neugierig  zu sein auf alles was mit LKWs zu tun hat. Irgendwie haben die schon merkwürdige Ansichten diese Brummi-Fahrer. Es war aber erst ein kleiner Vorgeschmack auf das,  was da  noch auf mich warten sollte.

Ich war etwas erstaunt, mit welcher Sorglosigkeit der große Laster auf der Autobahn einfach anhalten konnte, um mich vor einem AB-Kreuz abzusetzen. Natürlich war es schon spät und die Autobahn war nicht voll befahren, aber es nötigte mir schon eine gehörige Portion Achtung ab. Und wie ich noch darüber nachdachte, was mir der Fahrer über meinen Weg gesagt hatte, marschierte ich, den Rucksack geschultert, die steilen Treppenstufen herab auf eine Landstraße. Es war Vollmond und so hatte ich keine Schwierigkeiten, meinen Weg zu finden. Es war als gerade so, als wenn die Götter mir bei meinen ersten zaghaften Versuchen als Globetrotter beistehen wollten. So marschierte ich um 2 Uhr morgens auf einer idyllischen Landstraße in der Nähe von Oldenburg bei Vollmond über die Felder.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T5

Warum tat ich nicht das, was fast alle meine Freunde und Schulkameraden taten? Zuletzt konnte ich überhaupt keine vernünftigen Gründe mehr für die Reise finden und da wusste ich, dass es an der Zeit war,  loszuziehen. Wenn ich jetzt nicht wegkomme, dann nie mehr dachte ich. Auch wenn die Jahreszeit nicht gerade günstig für eine Tramperreise war, immerhin hatten wir bereits September und die Nächte wurden schon verflixt kalt, stand ich nun allein an der Raststätte. Wir hatten noch gemeinsam einen Kaffee getrunken.

Meine  Freunde hatte ich  dann weggeschickt, weil ich mich ein wenig schämte, die Leute anzusprechen. Es kostet mich ganz schön Überwindung, fremde Menschen um etwas zu bitten und sei es auch nur um die Mitnahme bis zu einem vereinbarten Ort. Ich setzte mich erst noch einmal rein und fummelte an meinem Rucksack herum, obwohl gar nichts in Ordnung zu bringen war. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, dass mir irgendjemand von sich aus anbot, bei ihm mitzufahren. Doch darauf konnte ich lange warten. Nein, ich musste die Initiative ergreifen, sonst würde ich hier verschimmeln.

Ich tat einen ersten zaghaften Versuch. Ein Urlauber machte ein freundliches Gesicht, deutete dann aber auf sein vollbesetztes Auto und zuckte mit den Schultern. Ein Anfang war gemacht. Und so schlimm war es gar nicht. Ich machte weiter. Ich konnte nur gewinnen. Eine Absage nach der anderen bekam ich und nahm es anfangs noch persönlich. Sah ich denn so schlecht aus? Musste man Angst vor mir haben? Merkte man nicht, dass ich viel mehr Angst hatte als alle anderen? Ich beobachte die Leute, um herauszufinden, bei wem ich die größten Chancen hätte. Aber ich dachte, wenn ich alle anquatsche, dann ist meine Chance größer mitgenommen zu werden. Ich schaute ungeduldig auf die Uhr.

Zwei Stunden war ich bereits hier und konnte mich nur mit dem Gedanken trösten, dass mir ab jetzt die Welt offen stand. Ich versuchte etwas von der Zukunft zu erahnen, die mir bevorstand. Ich hielt meine Nase in den  Kaffee‑ und Rauchgeschwängerten Dunst der Autobahnraststätte. Ich musste mal auf Toilette gehen und schon wurde mir bewusst, dass ich ein Problem hatte. Wo sollte ich hin mit meinem 60 Liter‑Rucksack? Ich versuchte ihn mitzunehmen, was sich aber als schwierig herausstellen sollte. Es war das erste Mal, dass mir richtig bewusst wurde, das all meine Habe in diesem Rucksack war. Schließlich ließ ich ihn so vor der Tür  stehen, dass ich seinen Schatten unter der Tür noch sehen konnte.

Ich ahnte, dass ich mit diesem Problem demnächst öfters zu kämpfen hätte. Nachdem ich mich so erleichtert hatte, nahm ich einen neuen Anlauf. Ich ging hinaus um dort LKW‑Fahrer zu erwischen, die ich fragen konnte. Niemals hätte ich mir die Blöße gegeben und wäre umgekehrt. Zu groß wäre die Schande gewesen. Allen wollte ich es beweisen. Was eigentlich?

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T4

Ich steuerte also Paris an und da Amsterdam, Antwerpen, Brügge und Gent  mit auf dem Weg lagen, gehörten sie zu meiner Route gleich dazu. Von Paris aus sollte es dann nach St. Malo gehen, in ein altes Piratennest direkt am Meer. Der Weg sollte dann fortgesetzt werden mit Orleans, Lyon, Aix‑En‑Provence, Montpellier, Barcelona, Madrid, Santander, Salamanca, Coimbra, Lissabon, an die Algarve, Sevilla, Cadiz und Gibraltar.

Von Gibraltar aus wollte ich mit einem Schiff übersetzen nach Marokko. Die leuchtenden Märkte von Marrakesch mit ihren orientalischen Teppichhändlern interessierten mich sehr. Wie es von da aus weiterging, wusste ich noch nicht.

Aber mir war klar, dass diese feste Reiseroute nur ein roter Faden sein konnte für meine Reise, eine ungefähre Richtung, die aber jederzeit flexibel abgeändert werden konnte. Der Zufall würde meinen Weg schon lenken, davon war ich überzeugt.

Ein bisschen hatte mich die Abenteuerlust gepackt. So ähnlich mussten sich die Glücksritter in Alaska auch gefühlt haben. Schöner Gruß an Jack London. Nach dem Studium von vielen Reisebüchern und Ausrüstungskatalogen, hatte ich endlich meine Ausrüstung zusammen.

Trotz sparsamster Gewichtsverteilung kamen immerhin noch 25 Kg  zusammen, die ich nun durch die Gegend schleppen sollte. Immer und immer wieder durchsuchte ich meine Ausrüstung nach überflüssiger Verpackung und anderen Platz‑ oder Gewichtraubenden Gegenständen. Ich füllte den Inhalt großer Glas‑Flachen in kleine leichte Plastikfläschchen und wurde schließlich zum Meister des Einpacken.

Wenig gebrauchte Dinge kamen nach unten und oft benötigte Sachen wurden griffbereit in die zwei äußeren Reißverschluss-Taschen des Rucksacks verstaut. Was ich allerdings oft benötigen sollte und was nicht, stellte sich erst im Verlauf der Reise heraus, so dass meine Vorüberlegungen zwar nützlich waren aber erst während der Reise zur Geltung kommen sollten. Hauptsächlich dienten sie in diesem Stadium dazu, meine Nerven zu beruhigen und mir zu zeigen, dass ich alles gut vorbereitet hatte. Das war durchaus  angebracht, denn je näher der Tag des Abschieds kam, desto mehr Zweifel kamen mir über den Sinn meiner Reise.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T3

In der Schule habe ich glauben müssen, was man mir über das Leben erzählte.

Aber das waren meist subjektive Meinungen, die ich nicht vorbehaltlos übernehmen wollte. Es gab nur wenige Lehrer, denen ich eine objektive Meinung über das Leben zutraute. Ein Spruch an einer Wand des Schulgebäudes machte mich auf die Problematik des Lehrer‑Schülerverhältnisses aufmerksam:

„Wie kann ich lernen, was Sie wissen, ohne zu werden  wie Sie sind?“ stand da geschrieben.

Wollte ich so werden, wie meine Lehrer, Eltern oder sonstigen Vorbilder? Alle guten und leider  auch  schlechten Lehrer  werden irgendwann einmal zu Vorbildern. Nein, auf keinen Fall wollte ich zu den  Spießbürgern zählen, den Angepassten in unserer Gesellschaft.

Ich wusste nicht genau, was ich werden wollte, aber ich wusste ziemlich genau, was ich nicht werden wollte. Irgendetwas erwartet mich da draußen, das wusste ich genau und das Fernweh wurde immer schlimmer. Unzählige unglückliche Liebesversehen taten ein Übriges um mich hinauszutreiben in die große weite Welt. Ich kramte den alten Atlas meines Vaters hervor und legte mir eine Reiseroute zurecht. Gar nicht so einfach eine Route so willkürlich festzulegen. Zu viele Möglichkeiten gibt es da, wohin man gehen könnte. Gleichzeitig ergriff mich vor dem ausgebreiteten Atlas aber ein Gefühl von Freiheit. Ich konnte hingehen, wo immer ich hin wollte. Ein herrliches Gefühl. Die armen Leute in der  DDR dachte ich damals, welche Einschränkung ihr Leben doch durch die Mauer und das Regime, das diese erbaute, erfahren  musste.

Es gab Städte mit klangvollen und geheimnisvollen Namen, aber auch welche, die mir überhaupt nichts sagten. Manche Namen waren für mich einfach uninteressant. London ist so eine Stadt, die mich nicht neugierig machte. Paris dagegen faszinierte mich allein von meiner Vorstellung über Paris. Die Stadt der Liebe und Revolution. Nirgendwo sonst gibt es diese Leichtigkeit des menschlichen Daseins. Jede Straße erzählt von geschichtlichen Ereignissen und wenn man nachts auf den Boulevards spazierte, würde man mit etwas Glück bestimmt Napoleons Geist auf seinem Pferd durch die Straßen reiten sehen.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T2

Ich bin von eher hagerer  Statur, zwar zäh, aber nicht sonderlich mit Muskeln bestückt. Eine Waffe hatte ich mir nach reichlicher Überlegung aus dem Kopf geschlagen, weil die im Ernstfall eher gegen mich verwendet werden konnte.

Abgesehen vom Gewicht, das man mit sich herumzuschleppen hätte, waren da ja auch noch die unterschiedlichen Bestimmungen der einzelnen Länder über Waffen zu beachten. Alles in allem also entschied ich mich für  ein schweizer Taschenmesser, dass auch für weniger feindliche Aktionen wie das Kürzen von Fingernägeln geeignet war. Ansonsten betrachtete ich mein gesundes Misstrauen als besten Schutz vor unvorhersehbaren Schadensfällen. Ich durfte eben keinen Augenblick unaufmerksam sein. Immer auf der Hut vor möglichen Komplikationen. Ich machte es mir zur Aufgabe, mögliche gefährliche Situationen vorherzusehen. Natürlich blieb ein Rest an Angst, aber der konnte auch ganz nützlich sein, wie sich später zeigen sollte.

Allein die Tatsache, dass ich nur mäßig Englisch sprach und sonst keine andere Sprache stellte einen Risikofaktor in meinen Überlegungen dar. Wie sollte ich in wirklich gefährlichen Situationen den Überblick behalten, wenn ich kein Wort der jeweiligen Sprache verstand? In der Schule war mir das Fach Englisch eine Qual gewesen. Vielleicht deshalb, weil ich wegen meiner Zahnspange Schwierigkeiten mit der Aussprache hatte, aber ganz bestimmt deshalb, weil die Lehrer es nicht verstanden, mich für diese Sprache zu begeistern. Schade eigentlich. Ich sollte später noch Gelegenheit bekommen, mein Englisch  in Amerika aufzupolieren. Nun, es kostete mich eine gewisse Überwindung, aber diese Überwindung brauchte es, damit diese Reise zustande kam und es sollte eine Reise zu mir werden.

Das Geld teilte ich in kleinere Beträge und kaufte mir Traveller‑Schecks in Dollarwährung dafür. Einen Teil des Geldes versteckte ich unter der Sohle in meinem Schuh, einen anderen in einer selbst genähten Innentasche meines Hosenbeins. Dann hatte ich noch einen Gürtel mit einem Geheimfach darin.

Meine Hoffnung war, dass bei einem Überfall nicht alle Verstecke auf einmal gefunden werden konnten und mir so immer noch das eine oder andere Versteck mit einer Geldreserve blieb.

Mit dem Daumen im Wind

Eine Reise mit dem Rucksack durch Westeuropa T1

von Mathias Bleckmann

Es passierte im Orwell‑Jahr: 1984. Ich hatte gerade die schweißtreibende Prozedur des Abiturs mit mehr oder weniger Erfolg hinter mich gebracht  und war neugierig auf das Leben. Ich war 18 Jahre alt damals und das, was man als schüchtern bezeichnen könnte. Aber die Neugier war größer und besiegte meine Schüchternheit und ich stehe dafür ewig in ihrer Schuld.

Ich ahnte, daß da noch einige Erfahrungen zu machen waren, die nur auf mich warteten. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und mußte als erstes  Überzeugungsarbeit bei meinen Eltern leisten. Sie waren sehr besorgt, weil man doch so viel Negatives aus aller Welt hörte. Für meine Eltern war die Welt schlecht und so mußte ich schon Durchsetzungsvermögen beweisen noch ehe ich überhaupt unterwegs war. Zunächst mußte ich das Geld für die Reise zusammen bekommen.

Ich verkaufte erst meine Enduro und dann mein Auto. Aber es reichte immer noch nicht. Ich arbeitete also für drei Monate in einer Fabrik. Die Arbeit war körperlich  sehr anstrengend und oft genug fiel ich nach zwölf Stunden Maloche nur noch müde ins Bett, um dann um 5.30 wieder zur Frühschicht aufzustehen. Manchmal überstand ich die Prozedur der täglichen Maloche nur mit dem Gedanken an die schillernde Zukunft. Die Arbeit machte mich stark, nicht nur körperlich. Sie bestärkte mich auch in dem Gedanken, daß ich später einmal keine Arbeit wie diese machen wollte.

Ich wollte mein Geld mit Köpfchen verdienen und nicht mit Schwitzen. Nach den drei Monaten „Steinbruch“ hatte ich die stolze Summe von fast 10.000 DM erarbeitet. Das mußte reichen für ein Jahr unterwegs. Das Geld bereitete mir jedoch nicht nur Freude. Irgendwie überkam  mich ein mulmiges Gefühl soviel Geld mit mir herumzuschleppen. Schließlich waren andere schon für weit weniger Geld erschlagen worden. Ich dachte also darüber nach, wie ich das Geld und mich vor derartigen Gewaltübergriffen schützen konnte.