Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T20

Ja, der Spruch viel mir auch zuerst ein, aber Johannes scheint ganz nett zu sein. Er war letztes Jahr in Portugal an der Algarve, also an meinem nächsten Ziel. Es scheint dort ganz nett zu sein nach seinen Aussagen: keine Hochhäuser, keine deutschen „Neckermänner“ und sonst nur Strand, Meer und nette Leute. Nur für die Engländer wäre es das touristische Ziel schlechthin, weil es für sie sehr billig ist. So gibt es dann auch ganze Horden von Engländern, die ihre bleiche Haut unter der Sonne Portugals rostbraun grillen lassen.

Die andere Seite von Portugal ist die Armut und die daraus resultierende Hoffnungslosigkeit der Menschen. Ich werde an die Algarve fahren und dort mal so richtig ausspannen und versuchen mich von den Reisestrapazen zu erholen. Dann werde ich nach Südspanien (Andalusien) weiterziehen. Wenn ich mich dort umgesehen habe, werde ich nach Hause fahren, denn erstens hat mich das Heimweh gepackt und zweitens ist Herbst doch nicht die richtige Zeit für so eine Reise. Wahrscheinlich werde ich mit dem Zug zurückreisen, denn Trampen kostet in Spanien echt Zeit und vor allem Nerven.

Dazu kommen die vielen Übernachtungen in den Orten, in denen man zwangsläufig hängenbleibt. Summasumarum ist das wahrscheinlich schon der Preis für die Zugfahrkarte. Wenn es nicht schon Mitte Herbst wäre, würde ich noch die Provence nachholen, die ich von meiner Reiseroute ja übersprungen hatte. Nach Marokko fahre ich nun doch nicht, weil ich von Peter und anderen Kollegen schreckliche Geschichten darüber gehört habe.

Peter selbst war schon einmal da. Die bunten orientalischen Märkte von Marrakesch mit dem betriebsamen Treiben der Händler interessieren mich zwar nach wie vor, aber wenn ich nach Marokko fahre dann nur zu zweit und nicht allein. Allein in Marokko ist es einfach derzeit zu gefährlich.

Das ist das, was ich mit Flexibilität meine: man muss einfach so flexibel sein,  seine Reiseroute den momentanen Gegebenheiten anzupassen. Die Reise sollte dann ja eigentlich von Marokko aus mit einem Frachter in die USA gehen. Das dumme ist nur, dass die billige Fahrt mit dem Frachter ziemlich lange dauert und damit die Verpflegungskosten zu einem Problem werden könnten.

Ich denke mir also, dass es im Augenblick günstiger ist nach London oder Luxemburg zu trampen und von dort aus in die USA zu fliegen. Das ist zum einen günstiger und zum anderen nicht so anstrengend wie drei oder vier Wochen auf einem Frachter in einem Maschinenraum zu verbringen.

Ich bin froh, dass ich jetzt meine innere Ruhe und vor allem meine Reiseroute wiedergefunden habe. Eine Zeitlang wusste ich wirklich nicht mehr, wie und wohin ich meine Reise fortsetzen werde. Nachdem ich meine Reiseroute schon ein paar mal umschmeißen musste, habe ich jetzt den roten Faden wiedergefunden.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T19

Peter liebt die heißblütigen Südländerinnen. Er ist ganz heiß auf die kühlen Mädels. Mir bleibt das zu der Zeit noch völlig unverständlich. Ich stehe mehr auf ein nettes Lächeln mit möglichst breitem Mund und als Sahnehäubchen Grübchen. 

Peter und ich waren gestern abend im Kino und haben uns den Film“Gremlins“ von Steven Spielberg angesehen. Diese kleinen gefräßigen Wollknäuel sind so eine Art ET auf Teddybärebene. Seit ich mit Peter zusammen unterwegs bin, habe ich wieder regelmäßiger gegessen, so daß sich meine Verdauung wieder erholen konnte. Wir  essen eigentlich jeden Tag sehr gut.  Das und die Fahrt 1. Klasse mit dem Zug hat ein ganz schönes Loch in die Reisekasse gerissen.

In Salamanca ist es um diese Jahreszeit morgens und abends schon verhältnismäßig kalt. Peter will hier vielleicht ein Jahr lang studieren und wollte sich deshalb die Stadt einmal genau anschauen gehen und sich über alles nötige informieren lassen.

Das macht er zur Stunde noch und so finde ich Gelegenheit, mein Reisetagebuch auf dem neuesten Stand zu halten, falls das überhaupt möglich ist. Es ist so viel passiert seit ich von zu Hause weg bin, dass ich Angst habe, alles zu vergessen. Das ist wahrscheinlich ein Grund für das Reisetagebuch. Peter fährt in ein paar Tagen mit dem Zug (Transalpino) zurück nach Hause. Dann werde ich wieder allein weiterziehen Richtung Portugal. Ich muss mal ein bisschen Ferien machen vom Urlaub.

Aber eigentlich ist man auf so einer Tramper Reise nie richtig allein. Es laufen so viele Schweden durch ganz Europa, dass ich ernsthafte Befürchtungen habe, dass überhaupt noch jemand in Schweden selbst ist. Ich merke, wie gut es tut, ein Zimmer zu haben und seinen Rucksack irgendwo sicher zu wissen. Nicht jeden Tag ein neues Zimmer suchen müssen, um sich daran gewöhnen zu können, in welcher Schublade des Zimmers die Socken nun liegen.

Reisestress. Das, was ich am meisten vermisse auf einer Tramper Reise, ist wirklich die Tür, die man hinter sich zuschließen kann. Privatsphäre wird doch zunehmend „Öffentlichkeitssphäre“  bei einer Rucksackreise. Daran sollte man zumindest denken.

Gestern haben wir einen deutschen Studenten getroffen, der in Uruguay und Argentinien gelebt hat und in Brasilien geboren wurde in Deutschland studiert und jetzt in Salamanca studieren möchte.

Johannes ist sein Name. „Der Beste Freund des Mannes ist sein Johannes.“ Sorry, dass musste ich einfach loswerden.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T18

Aber es ging weiter und das war in diesem Augenblick das Wichtigste. Die lausige Unterkunft- ein verlassenes Hotel, das ganz in das Bild der verlassenen Goldgräberstadt hineinpaßt und längst von den Heerscharen von Kakerlaken in Besitz genommen war, lag hinter uns und die Studentenstadt Salamanca vor uns.

Während Peter sich Anregungen bei Boris Vian holte und beim Bücherlesen entspannte, blickte ich aus dem Fenster und dachte noch darüber nach, wie es möglich war, dass so nah an Madrid so eine Einöde herrschen konnte.

Allein die Vorstellung, dass es keinen Bus gibt und nur ein Zug pro Tag fährt auf den man den ganzen Tag warten muss, weil man nicht weiß, wann genau er denn jetzt kommt, ließ mich die Großartigkeit des Anders sein so recht begreifen. In diesen Momenten war ich nicht nur Globetrotter, sondern Pionier der ersten Stunde. So oder ähnlich müssen sich die ersten Siedler im Wilden Westen auch gefühlt haben. Ursprünglich wollte ich nach Santander, aber Peter schwärmte mir so von Salamanca vor, dass ich eine Kursänderung in Erwägung zog und die Vorzüge, einen spanischsprechenden Begleiter zu haben, noch etwas länger genießen wollte.

Auch war es recht tröstlich mal wieder mit jemanden in meiner Landessprache zu sprechen und so richtig rum zu blödeln. Natürlich versuchte ich soviel spanische Brocken wie möglich aufzuschnappen und mir zu merken, denn schließlich wollte ich nicht abhängig werden von Peter mit dem ich mich sehr gut verstand. Wir lagen auf der gleichen Wellenlänge, was unsere Ansichten allgemein betraf, nur bei den Mädchen waren wir uns nicht einig. Wir hatten uns übrigens Tickets 1. Klasse spendiert, so gut waren wir drauf. Oder lag es daran, dass dieser Bahnhofsvorsteher uns weismachen wollte, alle Karten zweiter Klasse wären ausverkauft?

Egal, wir genossen jedenfalls die Geräumigkeit unserer Holzbänke und das leise bis lautere Rattern des Zuges. Was hätte uns bloß mit Tickets 2.Klasse erwartet?

Salamanca ist nicht annähernd so groß wie Barcelona, aber hier gibt es fast nur junge Leute. Salamanca ist eine von den alten, hochpreviligierten Universitätsstädten Spaniens. Die Spanierinnen machen auf mich einen hochnäsigen und arroganten Eindruck wie kaum anderswo in Spanien. Dieser Eindruck ist aber nicht unbedingt richtig, denn es ist ein Eindruck aus deutscher Sicht.

In Spanien sind die Frauen, vor allem die jungen Frauen im Süden, emanzipiert und anscheinend kühl, aber da ist wohl ein Großteil auch die Erziehung daran „schuld“. Die spanische Frau hat eben „stolz“ zu sein. Mir als Deutschen fällt es schwer, den Unterschied zwischen stolz und arrogant zu sehen, deshalb sind die spanischen Frauen für mich irgendwie unnahbar und nicht so sehr begehrenswert. Die meist große Nase verstärkt diesen Eindruck der Strenge noch.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T17

Der 16. Tag

Salamanca (Spanien), den 26.9.84

Die Sonne scheint. Ich sitze im Park von Salamanca und lasse die letzten Tage Revue passieren. Als ich vor einigen Tagen an der Avenida Diagonal in Barcelona stehe und mal wieder meinen Daumen in den Wind halte, treffe ich auf einen Tramper, der ziemlich deutsch aussieht.

Tatsächlich entpuppt sich das Bürschchen als augsburger Psychologiestudent. Sein Name ist Peter. Das einzige, was ich bis dahin von Augsburg kannte, war die Augsburger Puppenkiste. Aber diese Wissenslücke sollte sich bei mir bald, dank der werten Mitarbeit von Peter, schließen.

Wir haben uns dann zusammengetan, sozusagen als Zweckgemeinschaft, die den gleichen Weg hat und sind seit Barcelona zusammen getrampt. Peter wurde so etwas wie mein Mentor. Seine Spanischkenntnisse halfen uns enorm weiter. Ich habe viel von ihm gelernt, vor allem was Mädchen betrifft. Von „Calatajud“ aus sind wir mit dem Zug gefahren, denn in dieser Gegend (ca. 250 Kilometer von Madrid entfernt) sollte es nichts außer Kakerlaken und gleißender Sonne geben, von freundlichen und mitnahmebereiten Autofahrern ganz zu schweigen.

Ein bisschen wirkte das Nest, wie diese verlassenen Goldgräberstädte im Wilden Westen von Amerika, wo diese runden Wattebäuschchen durch die leeren sandigen Straßen wehen und die halb ausgehängte Saloontür im Wind hin und her knarrt. Jeden Augenblick erwartete man irgendwie, dass gleich John Wayne auftaucht und mit einer abgesägten Schrotflinte losballern würde.

Wir hatten uns dann entschieden den nächsten Zug zu nehmen, der kommen würde. Leider fuhr der erst am nächsten Tag! Dafür aber war es der zweitschnellste Zug von ganz Spanien und hatte nur etwa 2,5 Stunden Verspätung. Der hochmoderne und riesige Zug (ganze zwei Wagen lang!) konnte mit Holzbänken aufwarten und brauchte für ca. 300 Kilometer nur etwa 7 Stunden!

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T16

Die Müdigkeit, die sich in  seinen Fahrfehlern seit ein paar Hundert Kilometern manifestierten (Konzentrationsprobleme) würden ihn schon zur Vernunft bringen, dachte ich. Die Natur verlangt ihr Recht.

Die schnurgeraden Autobahnen bei Nacht bieten dem Auge keine Abwechslung, so dass man leicht während des Fahrens einschläft. Endlich in Spanien und endlich auf der“ sunny side of the road“,  so auch der Titel von dem Buch, das mir Freunde mit auf den Weg gegeben  hatten. Sonne pur.

Klaus hat mich irgendwo in der Stadt abgesetzt. Ich muss noch ziemlich lange laufen bis zum <Estacion de Terminal Francia>, dem Bahnhof von Barcelona. Hier kann ich Geld wechseln und mir einen Stadtplan besorgen. Klaus bot mir an, mit ihm und seinen Freunden in Gibraltar zu surfen. Ich war erfreut über das Angebot, aber ich hatte meine Bedenken. Wenn Klaus tatsächlich so weiterfuhr ohne Pause zu machen, dann wären wir nie am Ziel angekommen und ich hatte noch einiges vor. Ich bin einfach noch zu jung zum Sterben. Ich bin müde und wieder mal sehr hungrig.

Eigentlich schade, dass ich die Provence, von der ich mir einiges versprochen hatte, nur bei Nacht und mit 200 KM/h durchfahren hatte. Aber um 5.00h morgens auf der Autobahnabfahrt „Montpellier est“ abgesetzt zu werden, war auch nicht sehr verlockend.

Da spielt eben der Zufall Regie und gibt mir den Weg vor. Barcelona ist sehr laut und hektisch, so die ersten Eindrücke. Autoschlangen, die eine sichtbare Dunstwolke mit sich führen und sich um große alte Denkmäler herum schlängeln sind mir noch gut in Erinnerung. Polizisten mit MP‑Gewehren in dicken Lederstiefeln und braunen Uniformen und das bei 26 Grad im Schatten. Ich bin selbst viel zu dick angezogen. Als erstes ziehe ich mir die Jacke aus, verstaue sie im Rucksack und kremple meine langen Hemdsärmel hoch. Dann ziehe ich meine dicken Wanderstiefel aus und tausche sie gegen leichteres Schuhwerk. Die Sonne tut unendlich gut. Ich bin sehr müde und beschließe mit dem gerade erstandenen Straßenplan zum Hafen hinunter zu gehen um ihn dort zu studieren. Mein erster Wunsch ist ein Dach über dem Kopf zu finden für die Nacht. Mein Stadtführer hilft mir dabei.

Die Schiffe schaukeln im leichten Wellengang des Meeres und die sommerliche Luft lässt mich zusammen mit den Lichtreflexen auf den Wellen beim Suchen eindösen. Der Schlaf ist flach aber wohltuend. Zu groß ist die Angst, zu versäumen, wie jemand sich mit meinem ganzen Hab und Gut aus dem Staube macht. Ich habe es mir deshalb zur Angewohnheit gemacht, auf meinen Sachen zu liegen, bzw. den Rucksack mit der Parkbank so zu verschnüren, dass ein schnelles wegziehen (ohne mich dabei zu wecken) unmöglich ist. Schließlich möchte man dem Dieb ja  wenigstens  noch  hinterherwinken, um zu sehen, wer künftig  seinen Lieblingspullover trägt.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T15

Es ist spät, also werde ich jetzt Lebensmittel und Seife einkaufen, bevor es wieder stärker regnet. Gleich werde ich mich wieder einreihen in die vieläugige anonyme Schlange aus Menschen und werde dann vielleicht selbst zu einem Objekt in einem Buch werden, so wie meine Figuren aus diesem Buch an mir vorbeigegangen sind.

Gleich verschmelze ich mit dem scheinbar nie abbrechenden Strom von Franzosen. Noch einmal Luft holen als Individuum und dann los. In ganz Paris scheint es nur eine Handvoll von Lebensmittelläden zu geben. Die Franzosen kaufen selten etwas zu essen ein. Sie gehen viel lieber in ein Straßencafe und lassen sich das Essen vorsetzen. Dagegen gibt es an jeder Straßenecke  einen alten Buchladen. Die Franzosen sind scheinbar hochintellektuell, aber von Büchern wird man nicht satt. Nach einer Stunde Suchen habe ich schließlich eine klitzekleine Epicerie gefunden.

Den ersten Clochard habe ich auch schon gesehen. Metro fahren macht viel Spaß. Zuerst habe ich überhaupt nichts verstanden. Wahrscheinlich zu intellektuell für mich als Ausländer. Am zweiten Tag habe ich fast alles verstanden und zwar so gut, dass ich es sogar wagte, ohne Fahrschein zu fahren. Das sollte man heute wegen der allgegenwärtigen Videoüberwachung tunlichst vermeiden. Die kleinen, flotten Politessen machen sich einen Spaß daraus, süße, kleine, ausländische Tramper mit Bußgeldern  zu beglücken.

Barcelona

Ich bin todmüde nach einem 10 Stunden Non‑Stop‑Lift von Les Mans nach Barcelona. Ich habe nicht schlafen können, weil ich Angst hatte, dass mein Fahrer einschläft und wir beide erst im Himmel wieder aufwachen.

Wir haben viel gesprochen  über das Leben und alles Andere. Klaus ist Deutscher und Arzt. Er will mit seinem Surfbrett auf den Dach noch runter bis Gibraltar, wo er Freunde trifft. Er nimmt das Leben ziemlich locker, hat aber nie Zeit. Nie würde ich  versuchen, nur mit kurzer Pause (fast  Non‑Stop) von Freiburg nach Gibraltar zu fahren. Ich riet ihm dringend dazu, ein Schläfchen zu machen und dann ausgeruht die Reise fortzusetzen. Er wollte es sich überlegen‑ Ärzte!

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T14

Schon komisch, wie abhängig der Mensch von der Sonne ist. Bei mir scheint der Hunger nach Sonne und damit Wärme und Geborgenheit noch größer zu sein als bei anderen. Die Sonne zeigte sich mir nur einmal kurz in Gent. Aber auch wegen der Sprache bin ich guten Mutes, da im Spanischen doch vieles vom Lateinischen abgeleitet werden kann und ich viel offener den Menschen begegnen kann als hier in Frankreich. Ich verspreche mir auch viel von dem Wettergefälle zwischen Norden und Süden. Je mehr Sonne, desto freundlicher die Menschen, so meine Vermutung.

Habe ich die Briefe an meine Eltern eingesteckt? Sie machen sich bestimmt schon Sorgen, obwohl ich erst vier Tage weg bin. Ich habe es mir zur Pflicht erklärt, in unregelmäßigen Abständen von meinem jeweiligen Aufenthaltsort eine Karte zu schicken. Auf diese Weise sind sie beruhigt und wissen immer meinen letzten Aufenthaltsort (zum Suchen, falls ich mal verschwinden sollte). 

So ganz nebenbei bekommt man auch eine stattliche Sammlung von Postkarten, die nach der Reise prima zusammen mit Fotos in ein Album geklebt werden können. Mein erstes Hotel war am Place Pigalle, der Reeperbahn von Paris. Sexkinos, Sexshops, Lifeshows und jede Menge von Prostituierten. Eine Bar neben der anderen, alle in rotes Licht getaucht mit halbnackten, überschminkten Frauen.

Sie legen die Beine übereinander, rauchen Zigarette und warten auf Kundschaft. Hier kommen sie her die Klischees von den grellgeschminkten und Perücken behängten Nutten mit ihren weißen Pudeln an der Leine. Neugier treibt mich in einen Sexshop hinein. Die Bilder zum Teil ekelhaft, wie beim Metzger, rotes Fleisch in Ekstase. Blonde Haare, braune Haare und ohne Haare. Wie oft kann man den sexuellen Akt verschieden darstellen? Zwanzigmal, oder zweihundertmal? Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen.

Der Regen hat etwas nachgelassen, aber dafür ist es windig geworden. Ich muss noch Seife kaufen, da ich meine Seife in der Jugendherberge von Brügge gelassen hatte. Wieviel Schmutz dieser Welt könnte man mit einem Stück Seife säubern? Ja, es beschäftigt mich, denn ich war immerhin nicht nur unangenehm berührt von dieser Atmosphäre des Lasters und der Begierde.

Ich habe reagiert wie ein Mann zu reagieren pflegt. Immer öfter siegt das Fleisch über das Herz, obwohl das Gefühl doch um alles in der Welt mehr wert ist, als nüchterner kalter Sex. Es ist eine ganz andere Dimension, in der sich das Gefühl bewegt, irgendwie freier und nicht so festgelegt wie Sex. Während Sex immer in einem bestimmten Rahmen verläuft, aus dem er nicht heraus kann, kennt das Gefühl keine Grenzen.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T13

Ich bin betroffen von dieser Stimmung. Wehmut steigt in mir auf. Ich wäre jetzt auch lieber glücklich mit einem Mädchen, dass mich liebt. Statt dessen trampe ich mutterseelenallein durch die Welt. Wieso? Ich wüsste da auch schon ein passendes Mädchen. Sie  schwärmt von  Paris. Bin ich deshalb hier? Ich weiß es nicht. Vielleicht auch deswegen.

Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich Paris mag. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr beginne ich, Paris zu mögen. Man sagt ja, dass bei zwei Menschen, die sich zufällig treffen, die ersten 20‑ 30 Sekunden darüber entscheiden, ob sie sich mögen oder nicht. Mit mir und Paris ist das etwas anderes. Das Wetter ist kein Wetter für die Liebe auf den ersten Blick. Paris hat viele Gesichter und ich bin gespannt auf die anderen Gesichter von Paris. Ich kenne noch fast nichts von Paris, bis auf den Regen und die Tauben.

Paris hat internationales Flair (ein schönes Wort) und etwas ganz Faszinierendes an sich, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Hier gibt es alles, Hippies, Freaks, Popper und stinknormale, die so normal sind, dass sie schon wieder auffallen; Familien, Paare, Singles also Menschen aller Couleur. Alle leben irgendwie freiheitlich miteinander. Besser weiß ich es nicht zu beschreiben.

Die Sprache Französisch hat etwas feines und wohlklingendes an sich. Es ist eine Sprache für Sonn‑ und Feiertage und für die wichtigen Dinge im Leben, nichts für gewöhnliche Tage oder Dinge. Schade, dass ich so wenig von dieser Sprache verstehe. Die Menschen haben manchmal etwas Anonymes an sich, weil sie so verschieden sind und in so großer Anzahl auftauchen. Mich wundert, dass alle Menschen irgendwie hübsch aussehen, ohne besonders toll auszusehen.

Der gesamte Standard an Schönheit ist hier etwas höher. Die jungen genauso wie die alten Menschen sind irgendwie auf ihre Art „nice people“, oder auch weil sie überhaupt eine Art haben. Vielleicht liegt das an der Herkunft der Franzosen oder an dem Umstand, dass in Frankreich weniger Inzucht betrieben wurde als anderswo. Ich muss zusehen, wie ich mit meinem Englisch  hier weiterkomme. Mit einer anderen Sprache kommt man sich immer ein bisschen fremd vor, daher versuche ich, so viele französische Wörter zu benutzen wie möglich, um dazuzugehören.

Irgendwie tut es mir jetzt leid, dass ich mich damals in der Schule gegen Französisch und für Latein entschieden hatte. Ich freue mich schon auf Spanien, weil ich hoffe, dass dort endlich die Sonne scheint.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T12

Die Pariser sind mit Abstand die rücksichtslosesten Autofahrer, die ich bis jetzt gesehen habe. Klischees bewahrheiten sich. Während des dicksten Straßenverkehrs, der rush‑hour, fährt da ein großer, weißer BMW in eine Parklücke, die ich nicht einmal mit einem Mini Cooper angesteuert hätte. Voila, eine artistische Leistung, die wohl vor allem der Parkplatznot entspringt, die in Paris herrscht. Hier gibt es keine Fahrbahnbegrenzungslinien wie bei uns, manchmal stehen drei Autos nebeneinander, oder aber vier und mehr. Für mich ist das ein chaotischer Verkehr, der aber trotz allem funktioniert. Jetzt gerade setzt ein Auto aus einer Parklücke so zurück, dass es gegen das Auto hinter ihm stößt bis es wackelt und scheppert. Der Fahrer kümmert sich überhaupt nicht  darum und fährt fort als sei nichts gewesen. Schon verrückt diese Pariser.

Man setzt sich in ein Straßencafe und plaudert oder betrachtet einfach die vorübergehenden Leute. Die Augen der Männer sind ständig in Bewegung, aber wenn eine Frau vorübergeht scheinen sie versteinert zu sein. Ich muss an die steinerne Sphinx denken. Es regnet in Strömen, so dass ich meinen Wunsch nach Sehenswürdigkeiten erst einmal zurückstelle.

Bevor ich  riskiere bis auf die Haut nass zu werden, weihe ich lieber mein Notizbuch mit den ersten Reisenotizen ein. Langsam beschlagen die Scheiben und das Beobachten fällt schwer. Was machen die Männeraugen? Sie schauen immer noch wie versteinert auf die regennasse Straße. Abgelenkt werde ich von neun jungen Franzosen, die scheinbar vor dem Regen geflüchtet sind. Sie haben sich an den Nebentisch gesetzt und schießen jetzt mit Papierkügelchen, die sie mit Druck durch ihre Strohhalme pusten.

Schon verrückt, bei Dauerregen und maximal 14 Grad laufen die Mädchen im Minirock herum, haben weiße Sachen und eine Daunenweste an. Mir scheint, dass sie ihre Kleidung nicht nach dem Wetter richten, sondern sich das Wetter gefälligst nach ihnen richten soll. Sie laufen in der Kleidung herum, die sie gerade zeigen wollen, ob sie zum Wetter passt, ist völlig zweitrangig. Ich bin noch nicht lange hier, aber mir scheint, die Pariser sind ein Volk von Narzissten und Spannern. Wobei die Frauen die Rolle der Narzissten übernehmen und den Männern das Spannen zufällt. Obwohl auch die Männer ziemlich gewagt angezogen sind, nicht direkt ausgeflippt, aber doch hat jeder seinen eigenwilligen Stil. Wobei ich feststellen muss, dass dies auch noch altersabhängig zu sein scheint. Je älter, desto ausgeprägter ist  ihr Stil.

Will der Regen denn gar nicht aufhören? Ich wäre auch gern so ausgelassen wie die jungen Franzosen am Nebentisch, aber mir fehlt eine Bezugsperson. So schwelge ich lieber in Gedanken und beobachte weiter. Paare gehen Arm in Arm vorbei und schauen sich verliebt an. Der Mann legt schützend seine Jacke über ihre Schultern.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T11

Am anderen Morgen sah die Welt schon viel freundlicher aus, nicht nur weil ich geschlafen habe wie ein Brett, sondern auch weil der Himmel erbarmen mit mir zeigt: es hat aufgehört zu regnen.

Ich versuche noch einmal Hans zu erreichen. Wieder nichts. Ich stecke den Brief, den mir Ulf mitgegeben hat in den Briefkasten und will weiter trampen nach Antwerpen. Noch schnell etwas für unterwegs gekauft. Aber Pech gehabt, die Geschäfte machen erst in einer halben Stunde auf. Vollmilch und ein paar Pakete Mars als Marschverpflegung. Ein paar Riegeln schlinge ich auf der Straße herunter.

Die Leute gaffen‑ sollen sie ruhig. Jetzt brauche ich ne Bank, um Gulden in belgische France zu wechseln. Wieder viele Kilometer zu Fuß und mit vollem Marschgepäck. Nachdem das erledigt ist, suche ich nach einer Ausfallstraße in Richtung Antwerpen. Niemand hält. Die Welt ist schlecht und meine Eltern hatten Recht. Ein paar kurze Lifts von 5‑ 20 Kilometern bringen mich nur sehr langsam voran. Ich brauche 12 Stunden für die 200 Kilometer von Amsterdam nach Antwerpen! Von meinem Heimatort zur holländischen Grenze waren es gerade mal 9 Stunden und das zwischen 20.00 und 4.30 Uhr.

Antwerpen, Brügge, Gent

Fällt weg, da ich keine Lust zum Schreiben gehabt hatte. War aber auch bis auf ein paar kleine zwischenmenschlichen Begegnungen nichts Besonderes.

Paris 14/15. Sept. 1984

Ich sitze im Straßencafe am Boulevard St. Germain und beobachte die Leute. Mein  erster Eindruck: Menschen, Menschen, Autos und eine rege Betriebsamkeit. So viele Menschen und alle in dieser riesigen Stadt mit ihren alten Bauten und Millionen von Tauben. Ich musste durch die halbe Stadt laufen, weil kein Hotel mehr ein Zimmer für mich hatte. Jetzt habe ich ein viel zu teures Zimmer gefunden, für 90 Francs aber mit Breakfast und Shower.