Schon komisch, wie abhängig der Mensch von der Sonne ist. Bei mir scheint der Hunger nach Sonne und damit Wärme und Geborgenheit noch größer zu sein als bei anderen. Die Sonne zeigte sich mir nur einmal kurz in Gent. Aber auch wegen der Sprache bin ich guten Mutes, da im Spanischen doch vieles vom Lateinischen abgeleitet werden kann und ich viel offener den Menschen begegnen kann als hier in Frankreich. Ich verspreche mir auch viel von dem Wettergefälle zwischen Norden und Süden. Je mehr Sonne, desto freundlicher die Menschen, so meine Vermutung.
Habe ich die Briefe an meine Eltern eingesteckt? Sie machen sich bestimmt schon Sorgen, obwohl ich erst vier Tage weg bin. Ich habe es mir zur Pflicht erklärt, in unregelmäßigen Abständen von meinem jeweiligen Aufenthaltsort eine Karte zu schicken. Auf diese Weise sind sie beruhigt und wissen immer meinen letzten Aufenthaltsort (zum Suchen, falls ich mal verschwinden sollte).
So ganz nebenbei bekommt man auch eine stattliche Sammlung von Postkarten, die nach der Reise prima zusammen mit Fotos in ein Album geklebt werden können. Mein erstes Hotel war am Place Pigalle, der Reeperbahn von Paris. Sexkinos, Sexshops, Lifeshows und jede Menge von Prostituierten. Eine Bar neben der anderen, alle in rotes Licht getaucht mit halbnackten, überschminkten Frauen.
Sie legen die Beine übereinander, rauchen Zigarette und warten auf Kundschaft. Hier kommen sie her die Klischees von den grellgeschminkten und Perücken behängten Nutten mit ihren weißen Pudeln an der Leine. Neugier treibt mich in einen Sexshop hinein. Die Bilder zum Teil ekelhaft, wie beim Metzger, rotes Fleisch in Ekstase. Blonde Haare, braune Haare und ohne Haare. Wie oft kann man den sexuellen Akt verschieden darstellen? Zwanzigmal, oder zweihundertmal? Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen.
Der Regen hat etwas nachgelassen, aber dafür ist es windig geworden. Ich muss noch Seife kaufen, da ich meine Seife in der Jugendherberge von Brügge gelassen hatte. Wieviel Schmutz dieser Welt könnte man mit einem Stück Seife säubern? Ja, es beschäftigt mich, denn ich war immerhin nicht nur unangenehm berührt von dieser Atmosphäre des Lasters und der Begierde.
Ich habe reagiert wie ein Mann zu reagieren pflegt. Immer öfter siegt das Fleisch über das Herz, obwohl das Gefühl doch um alles in der Welt mehr wert ist, als nüchterner kalter Sex. Es ist eine ganz andere Dimension, in der sich das Gefühl bewegt, irgendwie freier und nicht so festgelegt wie Sex. Während Sex immer in einem bestimmten Rahmen verläuft, aus dem er nicht heraus kann, kennt das Gefühl keine Grenzen.